Namensfindung. Königsdisziplin mit Dornenkrone.

Das Hundert-Seelen-Dorf Fucking in Oberösterreich hat Ende 2020 einen folgenschweren Schritt gewagt: Aus (hahaha!) Fucking wurde Fugging. In der Vergangenheit war das kleine Dörfchen immer wieder von Spaßtouristen und der Instagram-Crowd heimgesucht worden, die sich gar nicht mehr eingekriegt haben über den - oh so hilarious - Namen der Ortschaft. Manche fanden ihn sogar so lustig, dass ihnen ein Foto mit Schild am Ortseingang nicht genug war. Sie wollten gleich das ganze Ding als Souvenir mit nach Hause nehmen. Und taten es.

Namen sind aber auch ein - pardon - f***ing schwieriges Territorium. Völlig zurecht gilt die Entscheidung für einen Namen eines Unternehmens, einer Marke oder eines Produkts als die Königsdisziplin des Textens. Hier manifestiert sich die Identität in konzentrierter Form. Der Name ist das erste Textelement überhaupt, mit dem ein Konsument in Berührung kommt. Meistens erzeugen Namen eine spontane Reaktion. Mag ich. Mag ich nicht. Versteh ich nicht, klingt aber interessant. Erinnert mich irgendwie an (…), find ich gut. Geht gar nicht, da denkt man doch sofort an (…). Starke Emotionen und individuelle Assoziationen kommen ins Spiel, es wird teils sehr persönlich. Entsprechend hitzig sind die Diskussionen, die in den verantwortlichen Gremien um den perfekten Namen geführt werden. Es geht um alles oder nichts. Um Liebe oder Hass. Es geht: Ums nackte Überleben. Und das stimmt ja auch irgendwie. Es ist die schwerwiegendste Text-Entscheidung im Brand-Building-Prozess. Vor diesem Hintergrund ist es umso wichtiger, aus dem Austausch reiner Befindlichkeiten und Gefühlseindrücke herauszukommen, um zu einer im Sinne der Marke tragfähigen Lösung zu kommen.

Kriterien für ein gelungenes Naming.

Einen richtig guten Namen zu finden verlangt zuallererst Durchhaltevermögen und eine hohe Frustrationstoleranz. Im Regelfall stehen auf der ersten Longlist Hunderte von Vorschlägen, von denen nurmehr eine Handvoll übrig bleibt. Schon der erste Google-Check oder der Domain-Check zeigen: Da war jemand einfach schneller. Neben der Verfügbarkeit der Top-Level-Domain kommen eine Fülle weiterer Faktoren ins Spiel, die abgeklopft werden müssen. Dazu zählen:

Brand Fit

Die Übereinstimmung mit den zuvor definierten Markenwerten. Das “zuvor definiert” kann man gar nicht genug betonen, denn ohne markenstrategischen Bezugsrahmen wird jede Namensdiskussion zur rein subjektiven Angelegenheit.

Category Fit

Die spontane Assoziation mit dem Feld, in dem sich das Unternehmen bzw. das Produkt bewegt. Denn wer auf der Suche nach einer Pet-Food-Marke ist, der will nicht wie ein Finanzdienstleister klingen.

Differenzierungskraft

in Bezug auf den Wettbewerb. Eigentlich klar, schon aus markenrechtlichen Erwägungen heraus. In der Praxis jedoch oft eine Hürde, gerade, wenn es einen dezidierten Namens-Liebling gibt, der schon im Briefing erwähnt wird und der als kreativer Bezugspunkt immer wieder auftaucht. Das ist für Kreative oft ein kaum zu erfüllender Anspruch (“Wir suchen so etwas wie (…), nur eben anders.”).

Wohlklang

und Aussprache, gegebenenfalls auch Internationalität und Assoziationen in anderen Sprachen. Niemand möchte ein Produkt launchen, das in einigen Zielmärkten falsche Konnotationen aufruft. Unvergessen der Mitsubishi Pajero, was im Spanischen soviel wie Wichser heißt. Eher ungünstig, um die Absatzzahlen nach oben zu treiben. Bei Wohlklang geht es aber noch um mehr: Es geht um die physische Qualität des Wortes an sich. Wirkt es technisch-kühl oder sinnlich-rund? Wirkt es metallisch oder wie ein samtiger Stoff? Weiblich? Männlich?

Kürze

Ja, natürlich wird immer wieder ein kurzes, knackiges Naming verlangt. Wer will schon der “Leutheuser-Schnarrenberger” unter den Markennamen sein, kompliziert und wichtigtuerisch? Andererseits: Storytelling kann auch hier beginnen. Manches mal wird gar das komplette Geschäftsmodell mit dem Namen beschrieben: wirkaufendeinauto.de ist so ein Beispiel.

Erweiterbarkeit

ist dann wichtig, wenn ein Unternehmen jetzt oder prospektiv in weitere Geschäftsbereiche aufgefächert wird, bzw. ein Produkt weitere Subkategorien unter sich vereinen soll.

Juristische Schützbarkeit

Wie viele hervorragende Namen sind schon an dieser letzten Hürde gescheitert! Die Optionen sind hier vielfältig, so stellt sich etwa die Frage, ob die Wortmarke alleine schützbar sein soll oder die Wort-Bild-Marke, was weitaus leichter ist. Auch der Schutzumfang (welche Warenklassen? National, international, weltweit? Drei, fünf, zehn Jahre?) spielt eine wichtige Rolle.

Die obige Auflistung dürfte recht konsensfähig sein. Aus meiner Erfahrung ist das Raster jedoch zu grob, um im Einzelfall zum perfekten Namenskandidaten zu gelangen. In meiner Systematik der Evaluation kommen meist weitere Parameter hinzu, etwa jenes der “Dichte”. Unter “Dichte” verstehe ich die Vielfalt der Assoziationen und semantischen Bedeutungen, die ein Naming abruft. Deskriptive Namen sind hier meist eindimensionaler als Kunstnamen, was an sich jedoch noch kein Minus darstellt. Denn ein deskriptives Naming kann durchaus seine Berechtigung haben, hierzu muss das gesamte Markenframework betrachtet werden.

Zu hoch geschraubte Erwartungshaltungen?

Eine Beobachtung aus der Praxis möchte ich noch ergänzen. Es geht um das psychologische Mindset beim Thema Namensfindung, gerade dort, wo mehrere Entscheider involviert sind. Gerade weil es so eine fundamentale Frage im Brand-Building-Prozess ist, wünschen sich viele, es möge ein Name am Horizont auftauchen, den ALLE sofort super finden und der OHNE jedes Problem seinen Triumphzug durch die juristischen Institutionen antritt. Ja, das hatte ich schon, es ist aber der absolute Ausnahmefall! Hier zeigt sich wieder, wie wichtig die Arbeit mit einem klaren Kriterienkatalog bei der Evaluation ist. Dieser nimmt die Emotion natürlich nicht komplett raus, objektiviert jedoch die Güte einzelner Kandidaten und ermöglicht eine sinnvolle Diskussion, was denn im Sinne der neu gegründeten Marke (und nicht nur persönlicher Präferenzen) zielführend ist.

Was ist mit Namensgeneratoren im Internet?

Inzwischen gibt es eine Fülle an digitalen Tools, mit denen sich Namen in Sekundenschnelle via künstlicher Intelligenz kreieren lassen. Zumeist funktionieren sie nach einem simplen Prinzip: Branche eingeben, ein paar Adjektive (Markenwerte) eingeben, und die Naming-Slotmachine rattert los. Manchmal spuckt sie sogar gleich das passende Logo mit aus. Klingt toll, günstig, modern und hoch effizient. Nun will ich nicht sofort drauflos schimpfen, dass selbst der smarteste Algorithmus nie so genial sein kann wie individuell entwickelte kreative Arbeit. Who knows. Es gibt inzwischen sicher auch spannend geschriebene Romane, die gar nicht von Menschen, sondern Maschinen stammen. Gehen wir´s also empirisch an! Ich will einen Woman-against-Machine-Test machen mit so einem Generator, anhand eines konkreten Briefings, um die Ergebnisse der AC (“Artificial Creativity”) mit meinen Ergebnissen zu vergleichen. Das Thema bietet allerdings genügend Stoff für einen eigenen Blogbeitrag.

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