Wo liegt der Unterschied zwischen texten und schreiben?

Jogginghose zurechtzupfen, ein Glas Wein einschenken, FaceTime an. So geht Freunde treffen in Covid-Zeiten. Nicht gerade optimal, weil die Verbindung manchmal den Gesprächsfluss stört. Andererseits auch nicht so dramatisch, als dass dabei keine guten Gesprächsthemen aufkämen. Neulich etwa habe ich einer guten Freundin vom Relaunch meiner Wortgestalterinnen-Website erzählt und da brachte sie eine interessante Frage ins Spiel: „Du, sag mal: Was ist eigentlich der Unterschied zwischen texten und schreiben? Und wieso nennt sich dein Beruf Werbetexterin? Für mich klingt das nach zutexten. Voll negativ.“In der Tat ist es bemerkenswert, dass alle anderen Berufe aus dem Werbe-Dunstkreis mit schillernden Berufsbezeichnungen auftrumpfen: Art Director, Visual Director, Grafik Designer, Key Account Manager usw. Wir Schreibprofis hingegen haben erst vor Kurzem so richtig begonnen, unsere Selbstbeschreibungen aufzupolieren. So sind jetzt viele Kollegen als Storyteller oder Content Creators, zuweilen auch als Brand Writer unterwegs. Und letztlich ist ja auch meine eigene Bezeichnung „Wortgestalterin“ ein Weg aus dem Schlamassel.

Aber kommen wir zum spannenderen Teil der Frage meiner Freundin:  Worin liegt der Unterschied zwischen texten und schreiben? 

Was macht den Text zum Text?

Erstmal ein paar Takte zur Etymologie, also zur Wortherkunft. Der Begriff Text ist dem Lateinischen entlehnt, wo „texere“ soviel bedeutet wie „weben, flechten, zusammenfügen“. Das dazu gehörige Partizip „textus“ bedeutet „Aufeinanderfolge, Zusammenhang (der Rede)“. Ein Text ist demnach eine verdichtete Form des Schreibens. Es werden bewusst Bezüge geschaffen zwischen Abschnitten, eine gewisse Dramaturgie ist gewollt – kurzum: Es ist ein gestaltender Wille des Urhebers erkennbar. In diesem Sinne wäre ein Einkaufszettel ganz klar kein Text. Ein Gedicht jedoch schon. Und ja: Auch eine Werbebotschaft. Denn wie das Gedicht, so verfolgt auch die Werbebotschaft ein klares Ziel. Nur eben ein ganz anderes.

 Die Unterschiede zwischen Werbetext und Literatur.

Während Werbetexte, nun ja, eben verkaufen sollen (ob ein Produkt, eine Haltung oder ein Lebensgefühl), sind literarische Texte vielschichtig in Sinn und Zweck. Mache davon möchten „belehren und unterhalten“ (Horaz), andere zum Lachen bringen oder zur Identifikation mit der Geschichte anregen. Wiederum andere sind pure ästhetische Konstrukte und legen den Fokus auf das Material Sprache selbst. Diese zuletzt genannte Funktion von literarischen Texten wird in der Fachwelt als selbstreferenziell bezeichnet. Aber hier schwingen wir uns bereits zu den Höhen der Literaturtheorie auf. Zurück zum Werbetext.

Die Marke als Referenzwert für die Textgüte.

 Was sind nun die Mittel, mit denen qualitätsvolle Texte zu kommerziellen Zwecken erzeugt werden? Dafür braucht es zunächst einen verbindlichen Maßstab, und der wird immer durch die Marke definiert. Sie ist der Bezugsrahmen, vor deren Hintergrund Textqualität überhaupt erst bewertet werden kann. Die Wahl der Themenfelder ist nun der erste Schritt: Für welche Inhalte steht die Marke? In welche Teildiskurse klinkt sie sich ein? Wo kann sie einen glaubwürdigen Beitrag leisten? Wie sind all diese Beiträge miteinander verwoben, so dass sie ein konsistentes Ganzes bilden? Dieses Abstecken der Themenfelder ist in Zeiten des SEO-Marketings noch wichtiger denn je. Dann kommt die Frage nach dem Stil. Mit welchen sprachlichen Mitteln arbeitet die Marke? Was ist ihre Tonalität, ihre Corporate Language, an der man sie wiedererkennt? Diese Parameter stehen in engem Bezug zu den Markenwerten und sollten daraus ableitbar sein. Leider ist dies immer noch ein Thema, das bei Kunden zu kurz kommt. Während das Design bis ins kleinste Detail festgelegt ist, gibt es keine verbindliche Corporate Language – und dass, obwohl die Anzahl der Schreiber explodiert, eben weil immer mehr Content auf unterschiedlichsten Kanälen produziert wird.

 

Der Makro-Text einer Marke. 

In meinem persönlichen Verständnis geht der Textbegriff weit über das einzelne Schriftstück hinaus – ob nun Social-Media-Post oder Unternehmensbroschüre oder Content der Website. Der Makro-Text einer Marke ist im Grunde alles, was in ihrem Namen geschrieben, verfasst, erzeugt wird, im weiteren Sinne sogar alle gesprochenen Äußerungen, etwa die Antwort des Mitarbeiters im Call Center. Alles hängt miteinander zusammen, ist ineinander verwoben und prägt das Markenbild. Werbe-Texter*in zu sein wäre in diesem Sinne ein sehr verantwortungsvoller Job, denn wir weben Marken-Bilder, Marken-Erscheinungsbilder mithilfe von Wörtern. Vielleicht ist der Begriff also doch besser als sein Ruf. 

 

 

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Vom Wert zum Wort. Agile Prozesse in der Corporate-Language-Entwicklung.

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Namensfindung. Königsdisziplin mit Dornenkrone.