Vom Wert zum Wort. Agile Prozesse in der Corporate-Language-Entwicklung.

Stellt euch mal folgende Situation vor: Ihr wacht morgens auf, und euer Schatzi spricht euch auf einmal mit „Sie“ anstatt mit vertrautem „Du“ an. Auch ist er ansonsten eher ein Mann der wenigen, aber wohlüberlegten Worte, nur an diesem Morgen, da gibt er wie ein Wasserfall ziemlich zusammenhanglose Trivialitäten von sich. Was ist bloß in ihn gefahren? Ihr erkennt ihn nicht wieder. Vielleicht nicht ganz so extrem, aber doch vergleichbar ergeht es manchem Menschen mit seiner Lieblingsmarke. Je nach Kontext (Persönliche E-Mail, Social Media, Servicehotline, Kampagnenkommunikation…) klingen unsere täglichen Markenbegleiter plötzlich fremd. Seriöse Unternehmen werden in Social Media auf einmal plump vertraulich, oder der Servicemitarbeiter hält in seiner Muffeligkeit so gar nicht das vollmundige Versprechen vom „Partner an deiner Seite“.

Corporate Language, ein verzichtbares Luxusgut?

Viele Marken nutzen leider immer noch nicht die Vorteile einer durchgängigen, wiedererkennbaren Markensprache. Da bleibt viel Potenzial liegen. Gerade in Zeiten multipler Channels und Autoren wären Marken gut beraten, sich intensiv mit ihrem Tone of Voice auseinanderzusetzen. Schon deshalb, weil die Kanäle ständig zunehmen, über die textliche Botschaften gesandt werden: Chatbots, Servicehotlines, Bestell-Emails – um nur einige zu nennen. Umso wichtiger ein einheitlicher Stil, um allen Autoren bzw. „Sprach-Botschaftern“ (auch Call-Center-Mitarbeitern!) eine verbindliche Guideline mitzugeben. 

Was taugt die Markenpositionierung als Basis der Sprache?

Vor der Sprache kommen die Markenwerte, ganz klar. Oder? Nun, einerseits. Andererseits: Es hat auch was für sich, erstmal experimentell in die Praxis zu gehen und daraus Regeln abzuleiten. Ich weiß, ich weiß: Das klingt zunächst nach einem Aufreger, schließlich kommen Positioning und Strategie vor Execution.  Mittlerweile bin ich nicht mehr so sicher, ob dies der Königsweg ans Ziel ist. Denn das induktive Vorgehen (also die Ableitung der Regel aus dem konkreten Beispiel), es hat mancherlei Vorteil: Markenwerte sind zumeist abstrakt, auslegungsbedürftig, jedenfalls vage genug, um der Markensprache nicht wirklich einen eindeutigen Weg zu weisen. Deshalb ist ein konkretes Antexten zu Beginn nicht so schlecht – vor allem bei kleineren Unternehmen, die auf ein schlankes Vorgehen angewiesen sind und schlichtweg nicht das Budget haben, einen langwierigen, linearen Prozess von der Strategie zur Umsetzung zu durchlaufen. Es spricht also nichts dagegen, erst ein „minimum viable text product“ zu kreieren, bevor man dann wieder in die theoretische Markenreflexion einsteigt. Schließlich leben wir im Zeitalter der agilen Prozesse – und das müssen wir Marken-Experten auch selbst leben.

 Der Moment der Wahrheit kommt nach der Strategie.

Der Weg vom Wert zum Wort ist ein spannender. Jetzt ist der Moment, wo der Fisch ins Wasser springt! Würde meine Mama sagen. Dazu ein konkretes Beispiel aus der Praxis. Für einen österreichischen Hotelleriebetrieb, der mich mit der Entwicklung einer Corporate Language beauftragte, wurde der Markenwert „authentisch“ definiert. Alle Verantwortlichen waren sich einig, dass das Hospitality-Konzept dadurch gut beschrieben sei. Doch wie klingt das, ganz konkret? Was ist eine “authentische” Sprache? Schreiben, wie man spricht? Vielleicht sogar: Schreiben im Dialekt? „Grias enk, mia gfrein uns auf eich do in de Berg?“ Oder heißt authentisch, dass wir in der Sprache der Kunden schreiben, so wie unsere anvisierten Zielgruppen eben sprechen? Also eher urban, weltoffen, weitgereist, mit dem ein oder anderen Anglizismus? Je nachdem, wie man es auslegt, kann ein und dieselbe Marke so oder ganz anders klingen. Noch komplexer wird die Situation dadurch, dass unterschiedliche Werte in unterschiedliche Richtungen weisen. So gab es im genannten Projekt neben dem Wert „authentisch“ auch noch den Wert „mutig/innovativ“, der geradezu diametral entgegengesetzt scheint. Da hilft nur der Praxistest und ein Tune-In in verschiedene Sprachansätze, um zu eruieren, in welche Richtung es gehen kann. Egal, wie groß der Konsens in der Theoriephase war – meine Erfahrung: Letztlich weiß der Kunde erst dann genau, was er will, wenn er die konkrete Umsetzung sieht, liest, hört. 

Unter https://www.wortgestalterin.de/portfolio/thesecretsoelden könnt ihr euch ansehen, wie ich das Thema für den österreichischen Hotelleriebetrieb angepackt habe und wie auf ein- und derselben Positionierungsbasis ganz unterschiedliche Stile gewachsen sind.  

 

Agilere Prozesse statt Linearität.

Strategie und Praxis sollten im Sinne eines schlanken Prozesses eng geführt werden. Es macht aus meiner Erfahrung wenig Sinn, viele Schleifen in der Theorie zu drehen. So nach dem Motto: „Sind wir nun eher authentisch? Oder sind wir nicht vielmehr echt?“ Solche Diskussionen führen in aller Regel zu keinem Ergebnis. Lieber schnell ins Doing kommen, die diskutierte Theorie in praktische (Text-) Ergebnisse übersetzen, um festzustellen, ob man wirklich dasselbe meint. Am besten funktioniert dies natürlich, wenn Strategie und Text aus einer Hand kommen. Hierzu findet ihr meine Angebote unter https://www.wortgestalterin.de/leistungen.

 

 

Previous
Previous

Royal Vintage Wörter

Next
Next

Wo liegt der Unterschied zwischen texten und schreiben?